Gitarren gebraucht kaufen – ja oder nein?

Letztes Update: 
20. März 2017
Von Bernd Kiltz
Auf dieser Seite
Mein Leidensweg „gebrauchte Gitarren“

Das Versuchsobjekt

Das Eigentliche Problem

Tipps

Fazit

Bei diesem Thema scheiden sich wiedermal die Geister 🙂 Einige schwören auf den Gebrauchtkauf, andere sind völlig gebrandmarkt und würden immer nur neue Gitarren kaufen. In diesem Artikel gibt es viel Information zum für und wider, so dass Du Dir selbst ein Bild machen kannst!

Gerade am Anfang möchtest Du eventuell noch nicht so viel Geld ausgeben, da Du vielleicht noch gar nicht weisst, ob Du auch am Ball bleiben wirst. Schließlich gibt es viele Gitarrenbesitzer, aber weniger, die das Teil auch richtig spielen können.

Andererseits kann ein schlechtes Intrument auch gerade dafür sorgen, dass Du die anfängliche Hürde nicht nimmst und zu schnell den Spaß verlierst. Was also tun?

Mein Leidensweg „gebrauchte Gitarren“

Was den Kauf von Gebrauchtgitarren angeht, bin ich ein gebrandmarktes Kind. Meine erste Gebrauchte war mit 19 Jahren eine Ibanez Universe in White, mein absoluter Traum als Fan von Steve Vai und dem gerade erschienenen Album „Awake“ von Dream Theater mit dem Song „Lie“. Die Gitarre war auf den ersten Blick in Ordnung, aber klang irgendwie matt und leblos. Ich vermute, sie lag zu lange Zeit in einem feuchten Keller. Zwar habe ich viele damit gespielt, so richtig Freude kam dabei aber nicht auf. Später hatte ich eine günstige RG4321, die VIEL besser klang, obwohl sie gerade mal ein viertel gekostet hat.

Zweiter Versuch dann im Jahr 2001, 4 Jahre später, nach meinem Studium in LA. Ich wollte unbedingt eine Music Man John Petrucci, und entdeckte auch eine zum vernünftigen Preis auf ebay. Zuerst war alles ok, dann löste sich auf einmal am Hals ein streifen holz auf der Rückseite ab, da wo der Halsstab eingefasst war. Also wieder in die Sch… gegriffen. Eigentlich sollte ich es da gelernt haben. Nachdem aber einige meiner Schüler Mega-Schnäppchen mit teilweise neuwertigen Gitarren gemacht haben, dachte ich ok – neue Chance!

Ich habe zum Test für diesen Artikel mal eine richtig günstige Gitarre bei ebay Kleinanzeigen besorgt. Ich habe extra einen Anbieter gewählt, der mir nicht 100% sauber erschien, um ein wenig Ahnungslosigkeit zu simulieren und zu sehen, was dabei herauskommt.

Es sollte eine Ibanez GRG140 bzw. GIO sein, da ich dieses Intrument kenne. 3 meiner Schüler besitzen die neuere Version, und ich habe selbst damit auch schonmal ein youtube-Video produziert (gibts hier -klick-). Außerdem wisst Ihr ja mittlerweile bestimmt, dass ich Ibanez Fan bin lol.

Die Wahl fiel schließlich auf die Version in Schwarz, laut Anzeigentext „mit einigen kleinen Macken und schon etwas älter“. Dafür dann mit Tasche und Versand 105,- Euro. Das ist echt günstig für eine vollwertige E-Gitarre. Normalpreis für GRGs liegt eher so bei 135 Euro gebraucht.

Leider dauerte der Versand recht lange und ich musst 2x nachhaken. Beim 2. mal mit erheblichem Nachdruck – dann war 3 Tage später die Gitarre da.

Das Versuchsobjekt

Erst einmal ein Schock: Zustand der Gitarre unter aller Kanone. Tiefe E-Saite nicht vorhanden, die anderen Saiten Schwarz vor Rost. Einstellung des Halsstabes und der Saitenlage: Katastrophe! Und den sauberkeits-Zustand als „versifft“ zu bezeichnen wäre eine Beleidigung für alle versifften Gitarren dieser Welt.

Aber hier kommen wir zu einem sehr wichtigen Punkt: Wenn der Rohstoff der Gitarre, also die Hölzer, die Pickups und die Hardware, in Ordnung sind, kannst Du aus so einem Stück Holz mit ca. 1 Stunde Arbeit trotzdem etwas rausholen – wenn Du was davon verstehst. Teilweise erheblich mehr, als aus einer neuen Gitarre für 100 Euro, die es schließlich auch gibt.

Zur „Instandsetzung“ der GRG140 werde ich einen seperaten Artikel veröffentlichen mit vielen Tipps und Tricks, die Du auch selbst nutzen kannst, aber hier trotzdem mal ein paar Eindrücke des Zustands der Gitarre bei Lieferung:

Man sieht, dass die Saiten komplett schwarz sind
„Kleine Kratzer“
Ein Durchaus älteres Modell, da Ibanez mittlerweile solch schlechten Mechaniken an keiner Gitarre mehr verwendet

Zusätzlich war offensichtlich, dass der Vorbesitzer überhaupt keine Ahnung hat und die Gitarre war katastrophal eingestellt. Ich musste jeden einzelnen Reiter nachjustieren und habe ca 15 Minuten gebraucht, um dem Hals gerade zu bekommen.

Du könntest jetzt denken: „worst case“ – schlimmer kann es nicht kommen. Aber dem ist zum Glück nicht so! Nachdem ich die Gitarre gesäubert, die Bünde poliert, neue (gute) Saiten aufgezogen und alles eingestellt hatte, klang die Gitarre sogar richtig gut 🙂 Ohne Probleme könnte ich damit die nächsten Gigs spielen – was natürlich auch daran liegt, dass Ibanez sogar hier schon ordentliche Pickups einbaut, die nicht mikrophonisch sind (d.h. pfeifen) und einen annehmbaren, klaren Sound haben. Die Mechaniken sind etwas schwergängig, aber noch ok zu bedienen. Der Plastiksattel wäre das erste was ich austauschen würde – aber das hast auch bei teureren Gitarren ab und zu noch.

Das Eigentliche Problem

Es hätte auch schief gehen können!

Wenn der Hals so sehr verzogen ist, dass man mit dem Halsstab nichts mehr machen kann, ist die Gitarre nicht zu retten. Auch waren bei dieser Gitarre die Bünde schon sehr heruntergespielt, so dass es vom 1. bis zum 7. Bund extreme Kerben gibt. Nach meiner Behandlung mit Stahlwolle sind die Bünde noch spielbar, aber mehr als ein halbe bis ein ganze Jahr intensiven übens halten sie auf keinen Fall durch. Dann müssen neue Bünde rein (200 Euro) oder die bereits nicht allzu hohen Bünde abgerichtet werden (80 Euro). Danach sind sie zwar plan, aber doch sehr flach. Und die Frage ist tatsächlich, ob sich das dann gelohnt hat und Du nicht die gleiche Gitarre neu für 199,- Euro hier bei Thomann gekauft hättest ( -klick- ).

Hier kannst Du schön die Kerben in den Bünden sehen

Bei mir wird die Gitarre zur „Schülergitarre“ werden. Wenn jemand seine Gitarre vergessen hat oder gerade direkt von der Arbeit kommt, zwischendurch mal eine Saite reisst, oder ähnliches passiert, steht sie bereit.

Nächste Woche gibt es einen Artikel zum „Pimpen“ dieser Gitarre – Du wirst Dich wundern, soviel sei schonmal gesagt 🙂

Nach diesem Erfahrungsbericht möchte ich Dir für den Gebrauchtkauf folgende Tipps mitgeben:

  1. Kaufe niemals ungesehen! Entweder es gibt gute Bilder von allen wichtigen Bereichen (Bünde, Steg, Sattel, Koprus vor und Rückseite etc) oder Du lässt lieber die Finger weg. Am besten Du lässt Dir ein Video schicken, wo der Verkäufer die Funktion der Gitarre unter Beweis stellt!
  2. Hole die Gitarre am besten persönlich ab und nimm einen Kumpel mit, der Ahnung hat. Solltest Du den nicht haben… Tu Dir selbst einen Gefallen und kauf Dir eine neue, für die Du eine absolute Empfehlung bekommen hast!
  3. Handle auf jeden Fall den Preis so weit runter wie möglich. Frag ob neue Saiten drauf sind, wenn nicht, minus 10 Euro. Bei Rauchergitarre -20 Euro. Keine Tasche dabei? Nochmal runterhandeln.
  4. Kläre auf jeden Fall den Zustand der Bünde und lass Dir ein Detailfoto schicken vom 2-7 Bund!
  5. Ist ein Imbusschlüssel für den Halsstab dabei? Imbusschlüssel für die Einstellung von Saitenhöhe am Steg? Sonst hast Du danach Rennerei und Aufwand, den richtigen zu finden.
  6. Falls die Gitarre ein Tremolo hat – ist der Arm dabei? Wenn nicht, -10 Euro.
  7. Falls hinfahren nicht geht: Wie wird die Gitarre verpackt? Lass Dir nix erzählen… Das versenden kostet um die 8 Euro, wenn man nicht einen viel zu großen Karton nimmt.
  8. Bei E-Gitarren: Nicht unter 80 Euro, bei Akustischen: Nicht unter 60 Euro. Sonst lass es lieber gleich 🙂 Generell gilt: Je nach Zustand 60 bis höchstens 70% vom Neupreis inklusive Versand.
  9. Der wichtigste Tipp: Kaufe mit PAYPAL. Auch wenn Du kein Freund davon bist – Paypal Käuferschutz ist eine der besten Erfindungen im Gebrauchtmarkt. Wenn es Ärger gibt, hast Du zur not eine Handhabe – zumindest viel mehr, als mit einer Überweisung. Und lass Dich nicht auf die Option „Freunde und Familie“ bei paypal ein – dann gibt es keinen Käuferschutz. Zahl lieber die 1,8% Gebühr. Sicher ist sicher.

Fazit:

Generell kann man super Schnäppchen mit gebrauchten Gitarren machen – Es gibt viele, die mit dem Spielen anfangen, dann merken dass sie ja auf einmal üben müssen, dazu keine Lust haben, und die Gitarre nach 1-2 Jahren sinnlosem rumliegen wieder verkaufen. Das sind die besten Verkäufer für Dich. Der ambitionierte Gitarrist, der auf seiner Anfängergitarre 2 Stunden am Tag übt, sich dann nach 3 Jahren „was richtiges“ kauft und die alte, völlig ausgelutschte Gitarre loswerden will, ist eher nicht so gut für Dich als Käufer. Aber das kommt auch nicht so oft vor 🙂

Die besten Verkäufer sind dagegen Leute mit GAS, so wie ich. (GAS= Gear Aquisition Syndrome, also jemand, der viel zu oft viel zu viel Zeug kauft, was er eigentlich gar nicht braucht). Ich habe schon viele Gittaren verkauft und alle waren Top in Ordnung und meistens in neuwertigem Zustand.

Meine Empfehlung in einem Satz:
Wenn Du ein wenig Spaß am Basteln hast und gut handeln kannst, ist eine Gebrauchtgitarre eine tolle Option – Wenn Du keinen Streß willst, kauf Dir lieber eine neue!